Tipps & Tricks für verständliche Texte und gute Interviews

25. April 2024

|

Marcus

Lernen vom Radio

Ich bin ein großer Fan von Interdisziplinarität. Wir können super viel von anderen Disziplinen lernen. Auf den ersten Blick haben sie oft keine großen Überlappungen mit unserer eigenen Arbeit. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man jedoch öfter als man zunächst annehmen möchte, die eine oder andere Tätigkeit, die super ähnlich zu einer unserer Tätigkeiten ist. Hier gibt es dann die optimale Gelegenheit zum „klauen“.

Daher freue ich mich immer, wenn auf einer Veranstaltung auch fachfremde Teilnehmer:innen sind und Vorträge beisteuern oder aktiv an Diskussionen teilnehmen. Eine Veranstaltung der User Group Requirements Engineering der Softwareforen Leipzig hatte den Themenschwerpunkt „Effektive Anforderungserhebung und Ideenfindung im Requirements Engineering“.

Zum Auftakt der Veranstaltung wurde die Erhebung von Anforderungen oder Informationen im Allgemeinen zunächst einmal nicht aus dem Blickwinkel der Informatik oder des Software Engineerings betrachtet. Der Radio-Journalist Christian Bollert (BEBE Medien GmbH, detektor.fm) berichtete von seinen Erfahrungen beim Vorbereiten und Durchführen von Interviews fürs Radio.

Radiohörer haben leider nicht die Möglichkeit bei einem Wort, das sie nicht verstehen kurz anzuhalten und das Wort nachzuschlagen. Auch können sie nicht einfach einige Seiten zurückblättern, um noch einmal etwas nachzuschlagen. Daher müssen Texte im Radio einfach zu verstehen sein.

Ich sehe jedoch keinen Grund, warum geschriebene Texte komplizierter sein sollten, schon gar nicht wenn es um Anforderungen geht. Die 10 Grundregeln für Texte im Radio, die Christian Bollert vorgestellt hat, können somit für jegliche Art von Text angewendet werden:

10 Grundregeln für einfach zu verstehende Texte

  1. Kurze, verständliche Sätze, möglichst wenig Nebensätze
  2. Gesprochene Sprache, keine Kunstsprache. Nach dem Motto: Wie erzähle ich es einem Freund – mündlich!
  3. Sätze zum Vorlesen sprechend entwickeln (laut vorlesen)
  4. Aktiv statt Passiv; kein Nominalstil, verbal schreiben
  5. Sätze nicht mit Informationen überfrachten
  6. Eines nach dem Anderen erklären
  7. Fremdwörter oder Fachbegriffe sofort erklären oder ganz darauf verzichten
  8. Namen und zentrale Begriffe wiederholen – Redundanz erwünscht! („Redundanz statt Varianz“)
  9. Bildlich vergleichen: So groß wie ein Fußballfeld
  10. Füllwörter nutzen. Sie ermöglichen Atempausen und verbinden (Beispiele: „deshalb“, „darum“, „aus diesem Grund“)

Diese Grundregeln können wir 1:1 auf unsere Texte anwenden. Denn gerade technische Texte beschreiben oftmals eine überaus komplexe Fachlichkeit. Daher sehe ich überhaupt keinen Grund, warum diese Texte durch umständliche Formulierungen weiter verkompliziert werden sollen.

Interviews sollten immer sehr gut vorbereitet werden

Requirements Engineers verwenden oftmals leider nicht allzu viel Zeit auf die Vorbereitung von Interviews mit Stakeholdern. Zudem wird bei der Vorbereitung meist nur festgelegt WAS man von einem Stakeholder wissen möchte und leider nicht WIE man eigentlich danach fragt.

Auch hier hatte Christian Bollert nützliche Hinweise. Er hat 12 verschiedene Typen von Fragen vorgestellt und dabei neben Beispiele auch beschrieben, unter welchen Umständen man den jeweiligen Fragentyp einsetzen sollte. So soll beispielsweise die Entscheidungsfrage „Was brauchen Kinder ihrer Meinung nach mehr: mehr Freiheit in der Erziehung oder mehr Struktur?“ verhindern, dass der Befragte um den heißen Brei herumredet oder sich einfach herausreden kann. Mehrfachfragen sollten gar nicht gestellt werden, da Befrage eigentlich nur die Einzelfragen beantworten, die ihnen am besten zusagen und sowieso nie alle Einzelfragen beantworten.

Mut zur Naivität

Auf die Frage „Was macht einen guten Interviewer aus?“ gab Christian Bollert die folgende Antwort:

  • Empathie
  • Geduld
  • Höflichkeit
  • Rollendistanz zum Thema

Der letzte Punkt seiner Antwort warf dann jedoch die Frage auf, ob Fachwissen für Interviewer bzw. Requirements Engineers hilfreich oder schädlich ist. Darauf antwortete Christian Bollert:

Manchmal ist es gut, wenn man ein Experte ist, sich aber traut trotzdem wieder naive Fragen zu stellen. Wenn das gelingt, dann ist man einer der Großen.

Also:

Sei schlau, stell dich dumm. 

Aus eigener Erfahrung kann ich mich hier uneingeschränkt anschließen. Es lohnt sich eigentlich immer auch grundlegende Konzepte noch einmal zu klären. So sollte man nicht davor zurückschrecken, z.B. in einem Versicherungsunternehmen noch einmal zu fragen „Was ist eigentlich ein Tarif?“ Darauf folgt leider nicht selten die Antwort „Solche grundsätzlichen Fragen müssen wir hier nicht mehr klären. Jeder von uns weiß, was ein Tarif ist.“ Lassen sie sich nicht abschrecken und fragen sie ruhig weiter nach: „OK, dann erklären sie es mir bitte dennoch einmal. Ich kenne mich in ihrer Domäne nicht so gut aus.“

Meist stellt sich dann heraus, dass es doch nicht so klar ist, was ein Tarif tatsächlich ist. Sollten mehrere Personen an der Befragung teilnehmen, so haben diese fast immer ein unterschiedliches Verständnis, selbst (oder gerade) von grundsätzlichen und vermeidlich einfachen Dingen.

Es lohnt sich immer mutig zu sein und naive Fragen zu stellen.

Wie ist deine Erfahrung mit gespielter Naivität in Interviews oder Anforderungserherbungsgesprächen? Schreib sie einfach in die Kommentare.

Marcus

Bitte teilen

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert