Das geht nicht einfacher! Glaub schon.
Nein! Doch, und zwar so. Ups …

6. März 2025

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Full Flamingo

”Geht das nicht auch einfacher?”

Ihr kennt das bestimmt auch: Jemand erklärt euch ein Konzept oder ihr lest ein Konzept und es beschleicht euch dieses Gefühlmuss das wirklich so kompliziert sein“? Gerne auch in Abwandlungen wie „irgendwie erscheint es mir noch nicht ganz rund“ oder „das müsste doch eigentlich einfacher gehen“.

Jetzt fragt ihr nach: „Könnte es sein, dass dieses Konzept auch noch etwas vereinfacht werden könnte?“

Entrüstung: „Natürlich nicht: Da arbeiten wir ja schließlich schon seit Wochen (oder Monaten oder gar Jahren) intensiv dran. Das muss so sein!“.

Zwischen den Zeilen schwingt mit „du hast davon keine Ahnung“, „du hast da jetzt nur mal kurz draufgeschaut und bist kein Experte im Thema“ und vor allem „das ändern wir jetzt natürlich nicht noch mal“.

Und jetzt? Es steht erst mal Aussage gegen Aussage. Mit der Unbalanciertheit, dass die Gegenseite sich ja schon lange mit dem Thema beschäftigt hat und deshalb scheinbar die viel besseren Argumente hat.

Ihr seid euch aber ziemlich sicher, dass ihr recht habt und dass man das Konzept deutlich einfacher und besser machen könnte. Aber was jetzt machen?

Erfolg nur durch Beweis mit Gegenbeispiel

Natürlich könnt ihr darum bitten, dass ausprobiert werden soll, ob es doch noch einfacher geht. Ihr könnt Hinweise geben, wo es noch nicht ganz rund ist. Ihr könnt lange gemeinsam drüber reden. Bringt nur leider oft ziemlich wenig, weil die Erschaffer des ursprünglichen Konzepts sich ja ziemlich sicher sind.

Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen. 

Blaise Pascal

Aus unserer Erfahrung hilft hier oft nur noch genau eine Sache:

Selbst tiefergehend daran arbeiten und einen alternativen Vorschlag machen. Sozusagen ein Konzept als Gegenbeispiel, mit dem gezeigt werden kann, dass es doch einfacher geht.

Jetzt sagt ihr sicherlich: „Das ist aber viel Aufwand!“ Und das stimmt. Aber manchmal muss das sein. Was nämlich ziemlich sicher nicht gelingt, ist kurz draufzuschauen und direkt komplett zu wissen, wie das Konzept besser wäre. Mit kurzem Draufschauen sieht man meist nur, dass es das noch nicht ist. Aber es wirklich besser zu machen ist fast immer viel mehr Arbeit.

Wenn wir hier über Konzepte oder Lösungen sprechen, dann kann das alles sein. Es kann ein fachliches Konzept für irgendetwas sein, es kann ein Konzept aus dem Interaktionsdesign sein, es kann ein technisches Konzept aus der Softwarearchitektur sein.

Warum es überhaupt einfacher werden kann

Häufig ist die Annahme, dass die Kompliziertheit eines Konzepts schon passen wird oder eben so sein muss. Schließlich macht es (fast) niemand absichtlich komplizierter als es sein müsste.

Weniger, aber besser. 

Dieter Rams

Häufig wird dabei aber übersehen, dass es unterschiedliche Arten von Kompliziertheit bzw. Komplexität gibt:
Notwendige Kompliziertheit und zufällige Kompliziertheit (No Silver Bullet, Fred Brooks).

Die notwendige Kompliziertheit ergibt sich aus der eigentlichen Fachlichkeit, die zu lösen ist. Sie ist somit inhärent gegeben. Aber auch die lässt sich häufig mit geschickter Wahl des Scopes und der Herangehensweise deutlich reduzieren.

Die zufällige Kompliziertheit ergibt sich aus der Art und Weise, wie die Fachlichkeit in technische Lösungen gegossen wird. Und auf diesem Weg bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, falsch abzubiegen und mehr Kompliziertheit einzusammeln und einzubauen.

Wie es einfacher wird

Wie so oft gibt es leider kein methodisch abzuarbeitendes Rezept, das zu einer einfachen Lösung führt. Es gibt aber Tipps und Tricks, die auf den richtigen Weg führen.

  • Eine einfache Lösung ist immer nur relativ betrachtet einfach. Wenn das Problem sehr herausfordernd ist, kann auch die einfachste Lösung noch ziemlich kompliziert sein. Es darf also nicht nach einer absoluten Messgröße gesucht werden. Wenn es schon kompliziert sein muss, dann sollte es wenigstens so einfach wie möglich sein und konsistent.
  • Eine einfache Lösung muss einen klaren Scope benennen und dafür eine Lösung präsentieren. Solange der adressierte Scope unklar ist, wird es euch auch schwer fallen, eine gut passende und damit auch einfache Lösung zu entwickeln.
  • Um zu einer einfachen Lösung zu kommen, ist viel analytische Arbeit nötig. Das Problem und mögliche Lösungsansätze klar verstehen. Wir sprechen häufig von „Aspekte auseinanderziehen“ und meinen damit, Aspekte zu identifizieren, die tatsächlich anders sind und damit auch anders behandelt werden müssen. Wir versuchen ganz explizit Differenzierungen zu schaffen wo es notwendig ist.
  • Das funktioniert andersherum analog: Einfache Lösungen zu schaffen, bedeutet immer wieder die Synthese von Lösungsmöglichkeiten voranzutreiben und dabei möglichst gleichartige Lösungen für gleichartige Aspekte zu finden. Einheitlichkeit ist das Mittel zur Reduktion von Komplexität. So entsteht eine hohe Kohärenz und Integrität in der Lösung, die dann das Verstehen und Umsetzen vereinfacht.
  • In den erschaffenen Lösungen müssen Bestandteile gut passende Namen oder Benennungen erhalten. Und das ist oft diffizil: Wenn kein gut passender Name vergeben werden kann, ist oft auch das Konzept noch nicht rund.
  • Manchmal braucht es auch konsequent den Schritt zurück: Von weiter weg oder weiter oben auf das Problem blicken und überprüfen, ob vielleicht schon falsch angefangen wurde. Im Zweifel noch mal einen anderen Ansatz wählen und schauen, wo das dann hinführt.

Es gehört eine gute Portion Erfahrung dazu, zu einfachen Lösungen zu kommen. Deshalb, immer wieder üben und die eigenen Lösungen auf die Probe stellen! Sowohl durch eigene Betrachtung als auch durch aktives Einholen von Feedback anderer Personen.

Komplexität ist leicht; Einfachheit ist schwer. 

Dieter Rams

Einfache Lösungen strahlen auch eine gewisse Eleganz und Klarheit aus. Leider ist diese für viele Leute in der Softwareentwicklung nicht so klar erkennbar wie z.B. im Industriedesign oder in der Gebäude-Architektur.

Warum einfacher besser ist

Einfachheit zahlt sich (auch und vor allem in der Softwareentwicklung) gleich mehrfach aus:

  • Einfache Lösungen sind einfacher zu verstehen. Somit sind sie auch einfacher zu kommunizieren und es gibt weniger Missverständnisse.
  • Einfache Lösungen sind einfacher zu merken und richtig anzuwenden.
  • Einfache Lösungen sind meist günstiger und schneller zu bauen und zu testen.
  • Einfache Lösungen lassen sich oft einfacher weiterentwickeln.
  • Einfache Lösungen lassen sich meist besser mit anderen Lösungen integrieren. Konzepte in Software-Systemen kommen meist nicht in Isolation vor. Sondern viele Konzepte müssen zusammenspielen. Wenn nun viele komplizierte Konzepte integriert werden, ist das Zusammenspiel meist kaum noch durchschaubar. Wenn einfache Konzepte mit anderen einfachen Konzepten integriert werden sollen, bedeutet das auch noch mal Arbeit, führt dann aber auch zu einer guten Gesamtlösung.

Wegen dieser Vorteile lohnt es sich natürlich auch, zu Beginn etwas länger nachzudenken und in die Einfachheit zu investieren.

Natürlich heißt das auf der anderen Seite nicht, dass Analyse-Paralyse angebracht wäre.

Und manchmal muss es auch einfach sein, nochmal eine eine einfachere Lösung zu konzipieren, obwohl es schon eine funktionierende Lösung gibt. Die oben genannten Vorteile machen es langfristig meist mehr als wett!

Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann. 

Antoine de Saint-Exupéry

Wir sehen aber in der heutigen Zeit weit häufiger das Phänomen, dass zu wenig über Dinge nachgedacht wird und einfach schon mal gebaut wird, als dass zu viel nachgedacht wird und es deshalb nie los geht.

Erfahrungen mit einfacheren Gegenbeispielen

Zum Abschluss kommen wir noch mal zurück: Wir haben also die Zeit investiert und ein Gegenbeispiel eines Konzepts geschaffen, das tatsächlich bedeutend einfacher und klarer ist.

Die Zukunft des Designs ist die Vereinfachung. 

Dieter Rams

Unserer Erfahrung nach kann die Reaktion sehr unterschiedlich sein. Von „Ach so hast du das gemeint: Das hätte ich dir natürlich auch machen können“ über „Das ist ja quasi das Gleiche wie vorher!“ bis hin zu „Toll, das hätte ich nicht für möglich gehalten“ kann da alles dabei sein … Muss man sich dann überlegen, wie man damit umgeht. Man lernt aber typischerweise nicht nur viel über das Problem und die Lösung bei dieser Arbeit, sondern auch über die Menschen, mit denen man arbeitet.

Matthias & Dominik

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