Probleme in Software-Projekten gibt es wirklich mehr als genug. Sehr selten hört man mal von einem Software-Projekt, das (mehr oder weniger) reibungslos ablief. Es soll sie aber geben. Für erfolgreiche digitale Veränderung müssen mindestens drei Aussagen gelten:
- Man muss digitale Veränderung wirklich wollen.
- Man braucht Mut für echte digitale Veränderung.
- Man benötigt das erforderliche Können für digitale Veränderung.
Leider gilt bei fast allen Software-Projekten mindestens eine Aussage nicht. Bei vielen gilt sogar keine der drei. Betroffen sind davon nicht nur neue Vorhaben, bei denen etwas zum ersten Mal digital umgesetzt werden soll. Überarbeitungen von existierenden Systemen oder Ablösungen von Altsystemen sind davon genauso betroffen.
In diesem Artikel möchten wir auf eine Situation aufmerksam machen, die wir leider schon zu oft erlebt haben. Wir fragen uns jedes Mal wieder, wie es eigentlich dazu kommen konnte. Um diese Situation zu erklären, nehmen wir uns mal ein Beispiel aus dem Umfeld des Onlinezugangsgesetzes (OZG) vor. Wie du gleich erkennen wirst, ist diese Situation aber keinesfalls spezifisch für Projekte der öffentlichen Hand, sondern kann überall auftreten. Vielleicht sogar in deinem aktuellen Projekt.
In Deutschland soll es eine digitale Verwaltung geben, die Bürger:innen digital unterstützt. „Das Gesetz verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten.“ Schauen wir uns als konkreten Anwendungsfall die Geburt eines Kindes an.

Wenn ein Kind geboren wird, müssen die Eltern die Geburt ihres Kindes an verschiedenste Ämter, Behörden und Organisationen melden. Das geht heute meistens jeweils mit einem Papierformular, das oft sogar vor Ort persönlich besorgt und dann wieder abgegeben werden muss. Dank des OZG haben die Ämter, Behörden und Organisationen jetzt aber den Auftrag bekommen, diese Meldungen jetzt auch digital für Bürger:innen anzubieten. Der Auftrag scheint klar formuliert zu sein. Es scheint klar zu sein, was zu tun ist. Und genau das bekommen wir dann auch. Jedes Amt und jede Organisation wird die Meldungsformulare jetzt auch online anbieten. Und zwar mehr oder weniger wörtlich (bzw. 1:1). Bestenfalls können Bürger:innen jetzt online Formulare, die genauso aussehen wie die Papierformulare, ausfüllen und versenden. Schlimmstenfalls können Bürger:innen aber nur PDF-Versionen der Papierformulare auf der jeweiligen Webseite herunterladen und müssen diese dann ausgedruckt per Post zurückschicken. Wie auch immer umgesetzt, Eltern müssen immer noch jede Meldung einzeln durchführen. Zudem müssen Eltern immer noch selbst wissen, an wen sie diese Information eigentlich geben müssen. Die Verantwortung liegt völlig bei den Bürger:innen. Diese Lösung ist suboptimal. Für die Ämter, Behörden und Organisationen gilt aber: Auftrag erfüllt.
Wir möchten uns jetzt hier nicht darüber auslassen, dass selbst diese digitale Umsetzung in der Realität viel zu lange dauert. Auch nicht, dass durch den Verzicht auf Kooperationen unnötig viel Geld dafür ausgegeben wird, das an anderen Stellen dann wieder fehlt. Heute geht es uns darum, dass der Auftrag zwar irgendwie erfüllt ist, aber das Problem nicht annähernd gut digital gelöst wurde. Suboptimal ist noch eine schöne Umschreibung dafür.
Auch in diesem Beispiel gilt mal wieder keine der drei obigen Aussagen. Das OZG meint es gut, gemacht wird es aber schlecht. Viele Projekte nehmen ihren Auftrag als gegeben hin, ohne ihn groß zu hinterfragen. Die „Not my Job“-Mentalität führt zu riesigen Problemen. Was das OZG doch eigentlich erreichen möchte, ist eine digitale Unterstützung für Bürger:innen. Und das bedeutet eben nicht, dass diese jetzt einfach digital genau das machen müssen, was sie vorher analog gemacht haben. Wir sollten die Möglichkeiten ausnutzen, die uns digitale Lösungen bieten. Dazu müssen wir natürlich wissen, was diese Möglichkeiten sind. Und in diesem Fall gilt das gerade auch für die Gesetzgeber. Der Auftrag an die Ämter, Behörden und Organisationen ist schon suboptimal formuliert. Natürlich könnte dieser Auftrag auch viel besser von den Ämtern, Behörden und Organisationen für Bürger:innen interpretiert werden. Aber so arbeiten die meisten Auftragnehmer leider nicht. Es wird oft nur das Minimum gemacht, das ausreicht, um den Auftrag irgendwie zu erfüllen.

Es wird viel zu selten darauf geschaut, was das eigentliche Problem ist und wie dafür eine wirklich gute digitale Lösung aussieht. Leider fehlt dazu meist das Können, der Mut für wirkliche Veränderung, die leider oft auch gar nicht ehrlich gewollt wird. Schauen wir uns doch mal an, was das eigentliche Problem in unserem Anwendungsfall ist. Ein Kind wird geboren und darüber müssen jetzt einige Ämter, Behörden und Organisationen informiert werden. In unserer digital vernetzten Welt können die nötigen Meldungen völlig automatisch, ohne Aufwand für die Eltern, durchgeführt werden. Die Information über die Geburt wird sowieso auch jetzt schon im KIS (Krankenhausinformationssystem) hinterlegt. Das wäre eine richtig gute Lösung, die digitale Möglichkeiten ausnutzt. Warum sollten Bürger:innen mit etwas belastet werden, das ganz einfach automatisch gemacht werden kann? Das gilt für viele Meldungen aber in diesem Fall, haben Eltern echt genügend andere Dinge zu tun.

Leider können viele den Blickwinkel auf das eigentliche Problem nicht einnehmen. Zudem kommt noch, dass viele sich gar nicht vorstellen können und oft leider auch nicht vorstellen wollen, wie man etwas grundsätzlich digital anders machen kann. Wenn es aber gelingt und man für das identifizierte Problem zu dieser Lösung gelangen möchte, dann ist ganz klar, dass der Auftrag nicht wie anfangs erwähnt formuliert werden kann. Denn so wird man niemals zur gewünschten Lösung kommen. Wie häufig, muss auch hier nicht nur ein anderes Software-System gebaut werden als beim ursprünglichen Auftrag. Hier müssen auch einige analoge, organisatorische Dinge geändert werden. Diesen Mut muss man auch haben, Dinge eben nicht so zu machen, wie sie schon immer gemacht wurden.

Das genaue Verstehen des eigentlichen Problems und ein klar formuliertes Ziel, das erreicht werden muss, führt zu einem anderen Auftrag und somit auch zu anderer Software. Wenn man es gleich richtig macht, dann wird auch nicht mehr Aufwand dafür benötigt. In der Regel sogar deutlich weniger. Wenn aber der Auftrag schon suboptimal formuliert ist, so wie im Fall des OZG, dann bekommt man in den allermeisten Fällen auch eine suboptimale Lösung. Leider springen die Software-Entwicklungs-Pferde meist nur so hoch, wie sie müssen. Erst recht in der öffentlichen Hand.
Bei der Umsetzung von digitalen Services sollten wir uns immer fragen, wie wir unsere Kund:innen bestmöglich unterstützen können. Eine digitale Verwaltung sollte die digitalen Möglichkeiten voll ausnutzen und möglichst viel automatisieren. Analog war das vielleicht nicht möglich oder sehr aufwändig. Digital geht es aber. Eigentlich sollte das Ziel sein, dass Bürger:innen möglichst wenig vor Ort in einem Amt, einer Behörde oder einer Organisation vorstellig werden müssen. Da reicht es eben nicht, Services „auch“ digital anzubieten. Es sollte belohnt werden, wenn die Besucherzahlen zurückgehen. Wenn dieses Verständnis vorherrscht, dann werden die digitalen Lösungen auch automatisch für immer mehr Bürger:innen zugänglich. Dann braucht es zumindest dafür kein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Denn wenn unser Ziel ist, möglichst wenige Menschen vor Ort zu haben, dann müssen wir es immer mehr Menschen ermöglichen, unsere Services digital nutzen zu können.
Das Ganze gilt natürlich nicht nur für die öffentliche Verwaltung! Dort sind die Beispiele nur schön öffentlich, jeder kennt sie und man kann gut darüber sprechen. Letztlich leiden aber auch zahlreiche Software-Projekte und -Systeme, die in der Privatwirtschaft gebaut werden, unter den gleichen Problemen und den gleichen Ursachen. Auch dort springt der Software-Gaul häufig keinen Zentimeter höher als die Latte liegt. Falls er überhaupt drüber kommt.
Wie läuft es in deinem aktuellen Projekt? Baut ihr wirklich eine gute Digitale Lösung, die das echte Problem wirklich gut löst? Oder setzt ihr auch nur einen suboptimalen Auftrag um?
#gleichrichtigmachen
Marcus
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